07.03.2022
Den halben Tag im Tunnel, den Rest im Gegenwind
Der Wirt verabschiedet mich sehr herzlich und mit dem sehr freundlichen, aber natürlich zwecklosen Versuch, mir eine Flasche Wein zu schenken. Weil sie nicht in‘s Gepäck passt und dort auch ohnehin keinen harten Schlag abbekommen dürfte, müsste ich sie ja spontan leeren, was die Abfahrt um mindestens einen Tag verzögern würde - das sieht er ein. Er entlässt mich voller Respektsbekundungen, weil die Route durch die Tunnels nach Riva ja nicht ganz ungefährlich sei, aber mein Licht funktioniert einwandfrei, eingefahren bin ich auch und die allermeisten Autofahrer sind durchaus sehr rücksichtsvoll - und unter der Woche sind das eh nicht sonderlich viele.
Eigentlich läuft alles super, nur der erste Tunnel ist so eng, dass knapp hinter mir ein Lkw fast stehen bleiben muss als ein Linienbus entgegenkommt. Trotzdem fährt er sich an der Tunnelwand den Außenspiegel ab. Die vielen liegengebliebenen Bruchstücke von kleinen Kollisionen jeder Art sind am Ende auch vermutlich das größte Risiko - so ein bisschen wie der Weltraumschrott: im Dunkeln sieht man ihn nicht kommen und selbst kleine Bruchstücke können schon mal einen größeren Schaden bewirken. Aber es geht alles gut.
Am Ende der Tunnels beginnt dann ein von der EU im Rahmen der Corona-Konjunkturhilfen gefördertes Projekt der Region Lombardei (zu der der Südwesten des Sees gehört): ein futuristischer, elegant geschwungener Radweg, der quasi außen an den Fels angeschraubt ist, den Radler gefühlt freischwebend über dem Wasser dahinträgt, leicht abschüssig ist er auch noch (und noch nicht verrostet) - die unbeschwerte Leichtigkeit des Seins in Reinkultur. Aber natürlich nur bis zur Grenze Lombardei - Trento-Alto Adige: dort hat man (unmittelbar vor dem “Grenzschild” - ob auch die Region dahinter in der EU ist, ließ sich auf die Schnelle nicht feststellen) eine hinterhältige Dreifachschikane aus Metallzäunen aufgebaut, die so eng ist, dass ich mein Fahrrad erst nach dem Abnehmen der Packtaschen und einigem Tüfteln auch mit dem Pedal um die viel zu engen Kehren gezirkelt bekomme. Was ein Glück, dass ich nicht mit einem E-Bike unterwegs bin - ich hätte nicht gewusst, wo ich so schnell einen Lastkran herbekommen hätte…
Und dann passiert tatsächlich, was man nicht für möglich halten würde: einer der profi-mäßigen Radrennfahrer zeigt mir, dem dahergeradelten, langsamen und vor allem von den Modewellen im Radsport völlig unbeleckten Freizeitsportler, einen aufmunternden “Daumen hoch”, als er an mir vorbeifährt - dass ich das noch erleben darf… Aber vielleicht ist es indirekt dann doch verdient, weil die vielen Tunnel am Morgen verhindern, dass ich vom Rückenwind in Richtung Norden profitieren kann. Am Nachmittag auf der anderen Seite des Sees darf ich hingegen Richtung Süden wieder die volle Freude am Gegenwind genießen. Dazwischen liegt ein sehr nettes Mittagessen in einer sonnig-warmen Außengastronomie in Riva, allerdings ohne Seeblick, weil in der ersten Reihe der kalte Wind das Essen (und den Radler) zu schnell auskühlen würde.
Aber der ständige Blick auf den See am Nachmittag eines normalen Wochentags außerhalb der Ferien ist schon ein Highlight. Die Unterkunft am Abend ist ausgesprochen nett. Das leckere Abendessen eher für drei als für einen, mich zieht’s trotzdem vor allem in’s Bett, aber die sympathische Hotelière mag sich ausführlich nach den Erlebnissen auf den zurückliegenden Etappen und dem Plan für die noch folgenden, nach Sprachschulen in Mailand, dem Wetter zurzeit in München (schwer zu sagen, wenn man am Gardasee ist) und vielem anderem mehr erkundigen.
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